25th August 2021 Vienna, Austria
Diplomatische Lehren 11: Gib etwas zurück
Als ich im September 1984 als junger Diplomat nach Wien berufen wurde, enthielt mein Ernennungsschreiben, unterzeichnet von Ihrer Majestät der Königin und Außenminister Sir Geoffrey Howe, den Satz: “In der Erwägung, dass es Uns zweckmäßig erscheint, eine Person, deren Fleiß, Treue und Wissen [meine Hervorhebung] für gut befunden wurde, zu ernennen, um die Aufgaben eines Beamten Unseres diplomatischen Dienstes wahrzunehmen …”
Jahre später, 2016, stand dann in meinem Ernennungsschreiben als Botschafter in Österreich, unterzeichnet von Ihrer Majestät der Königin und Außenminister Boris Johnson: “In der Erwägung, dass es Uns zweckmäßig erscheint, eine Person, deren Weisheit, Loyalität, Gewissenhaftigkeit und Umsicht für gut befunden wurde, zu ernennen, um Uns als Unser Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter in Wien zu vertreten…”
Mit dem Zug nach Wien, wo ich 2016 mein neues Amt antrete
Die Wahl der jeweiligen Adjektive ist bemerkenswert. Treue und Loyalität sind ähnliche Begriffe, auch Fleiß und Gewissenhaftigkeit gehen in die gleiche Richtung. Wissen lässt sich vielleicht in einer Prüfung testen, wie man sie zum Beispiel für den britischen Staatsdienst ablegen muss. Bleiben noch Weisheit und Umsicht. Ist ein Botschafter weiser oder umsichtiger als ein Diplomat auf seinem ersten Auslandsposten? Kann er oder sie diese Eigenschaften weitergeben?
Mit meiner Mutter nach der Überreichung meines Beglaubigungsschreibens in Wien
Botschafter in Wien wurde ich drei Monate nach dem Referendum vom 23. Juni über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs. Es war abzusehen, dass die Verhandlungen über den Austritt aus der Europäischen Union große Auswirkungen auf die Arbeit der britischen Botschafter haben würden, auch in den EU-Mitgliedstaaten.
Mein erster Besuch, den ich zu betreuen hatte, war im September 2016 der von Außenminister (jetzt Premierminister) Boris Johnson, der sich hier mit dem Außen- und Integrationsminister (jetzt Bundeskanzler) Sebastian Kurz traf. Später folgten unter anderem der für den Austritt aus der Europäischen Union zuständige Minister David Davis, Verkehrsminister Chris Grayling, Europa-Staatssekretär Alan Duncan und zweimal Premierministerin Theresa May.
Boris Johnson besucht Wien im September 2016
2017 beehrten uns auch Prinz Charles und die Herzogin von Cornwall mit einem Besuch in Wien.
Die Arbeit im Zusammenhang mit dem Brexit beschäftigte uns bis zum Austritt des Vereinigten Königreichs am 31. Januar 2020, in der Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2020 – und sie beschäftigt uns auch jetzt noch: Wir befassen uns mit politischen Fragen wie dem Nordirland-Protokoll und Gibraltar, unterstützen unser Team vom Ministerium für Internationalen Handel (DIT) bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen im Vereinigten Königreich und in Österreich und leisten Hilfe für die rund 11.000 in Österreich lebenden britischen Bürgerinnen und Bürger.
Im Gespräch mit Briten und Britinnen in Innsbruck. Thema: EU-Austritt
Rund die Hälfte der Briten in Österreich habe ich persönlich getroffen, als ich mit Unterstützung von Kollegen der Botschaft und des österreichischen Innen- und Sozialministeriums durch das Land reiste und erklärte, welche Folgen der EU-Austritt für sie persönlich haben würde. Wenn Sie als britischer Staatsbürger oder britische Staatsbürgerin in Österreich leben und noch keinen Antrag auf Ihren Aufenthaltstitel „Artikel 50 EUV“ gestellt haben, sollten Sie dies jetzt tun – weitere Informationen finden Sie hier. Wenn Sie jemanden kennen, der noch keinen Antrag gestellt hat, ermutigen Sie ihn oder sie bitte, dies jetzt zu tun.
Bei der UNO 2019
Als Ständiger Vertreter des Vereinigten Königreichs bei den internationalen Organisationen in Wien war ich bis 2017 für die Arbeit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) im Zusammenhang mit dem Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan für den Iran (JCPOA) und der Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) zuständig. Ich hatte 2018 den Vorsitz beim Wassenaar-Abkommen über Exportkontrollen von konventionellen Waffen und vertrat Großbritannien im UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung und anderen in Wien ansässigen Organisationen. Der Austausch mit den multilateralen Botschaftern und anderen klugen Diplomatinnen und Diplomaten, die schwierige Problemen zu lösen hatten (und gelegentlich lösten) war für mich sehr wertvoll. Fasziniert haben mich auch ein Besuch von Ground Zero in Nevada und die Untersuchung von Drogen in den UNODC-Labors in Wien. Wie Kenner der multilateralen Szene wissen, fühlt man sich durchaus privilegiert, wenn man in UNO-Sitzungen auf dem der Nation zugewiesenen Stuhl sitzen darf.
Diskussion über den EU-Austritt im österreichischen Fernsehen
Dank meiner Tätigkeit in Wien in den 80er Jahren (siehe Link, mit einem peinlichen Bild von mir mit Bart) verfügte ich bereits über ein gutes Vorwissen, um Österreich zu verstehen. Ich kannte das Land und hatte Freunde, die es mir gern erklärten. Als nützlich erwiesen sich auch der einmonatige Sprachaufenthalt in Salzburg vor meinem Amtsantritt und regelmäßige Reisen in die neun Bundesländer Österreichs, von Vorarlberg im Westen bis zur Steiermark im Osten. Corona hat Reisen und den direkten Austausch seit März 2020 stark eingeschränkt und uns mit neuen Herausforderungen konfrontiert, zum Beispiel der Frage, wie man gestrandete Briten zurück nach Großbritannien bringt.
Zu Beginn der Corona-Pandemie helfen wir, Briten nach Großbritannien zurückzubringen
Vor Corona habe ich besonders die persönliche Begegnung mit jungen Menschen geschätzt – Schulen, Fachhochschulen und Universitäten. Viele wollten mehr über das Vereinigte Königreich, die Diplomatie, den Brexit und andere Themen erfahren und spezialisierten sich darauf, schwierige Fragen zu stellen. Vor einem vollen Saal zu sprechen ist in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit einem Auftritt in einer Live-Diskussion im Fernsehen: Es hilft, genau zu wissen, was man sagen will.
Vorstellung des vollelektrischen Jaguar I-Pace 2018
Tatsächlich hat es mir auf diesem letzten Posten meiner 40-jährigen Laufbahn (siehe meine Blogs “Diplomatische Lehren” 1-10), besonders viel Freude bereitet, meine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Ich habe Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt online beraten, regelmäßig Vorträge über Diplomatie, soziale Medien und andere Themen gehalten und Best-Practice-Sitzungen über das Diplomatenhandwerk für Mitarbeiter in Wien und anderswo abgehalten.
Von manchen habe ich die freundliche Rückmeldung bekommen, sie hätten meine Bemühungen hilfreich – und sogar interessant – gefunden.
Ich radele im Kilt zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten
Wenn ich eine Lehre aus fünf abwechslungsreichen Jahren in Wien ziehen würde, dann die, dass es nicht nur richtig ist, etwas zurückzugeben und das Gelernte mit anderen zu teilen, sondern auch erfüllend. Ich bin mir nicht sicher, ob am Ende von vierzig Jahren Arbeit für die Regierung unbedingt Weisheit steht, aber sie haben mir auf jeden Fall eine Menge Erfahrung gebracht.
Was Umsicht anbelangt, überlasse ich das Urteil Ihnen.
Dass es glücklich macht, anderen Menschen zu helfen, ist eine Binsenweisheit. Aber es stimmt nun einmal. Vielen Dank an alle – bis jetzt – fürs Zuhören.
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Die vorangegangenen Blogs in dieser Serie:
– Diplomatische Lehren 1, 1979-83: Ziehe keine voreiligen Schlüsse
– Diplomatische Lehren 2, 1983-87: Fremdsprachen verändern alles
– Diplomatische Lehren 3, 1987-91: Bewirb dich um den schwierigsten Job
– Diplomatische Lehren 4, 1991-95: Mach dir einen Plan und halt dich nicht daran
– Diplomatische Lehren 5, 1995-98: Bewirke etwas
– Diplomatische Lehren 6, 1998-2002: Pendel
– Diplomatische Lehren, 7, 2002-6: Arbeit ist nicht alles
– Diplomatic lessons 8, 2006-8: embrace responsibility