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Leigh Turner

Ambassador to Austria and UK Permanent Representative to the United Nations and other International Organisations in Vienna

14th May 2021 Vienna, Austria

Diplomatische Lehren 7, Berlin 2002-2006: Arbeit ist nicht alles

Als ich kurz nach Beginn meiner beruflichen Auszeit morgens die Kinder zur Schule brachte, begegnete ich einem Kollegen von der Botschaft. „So tief können die Mächtigen sinken”, sagte er. Mir fiel keine witzige Antwort ein.

Nach 23 Jahren Vollzeitarbeit nahm ich 2002 vier Jahre “unbezahlten Sonderurlaub”, wie es im Foreign Office hieß, um mich um meine Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren zu kümmern. Es waren die besten vier Jahre meines Arbeitslebens. Rückblickend hat es meine Karriere vielleicht nicht gefördert, aber ich kann nicht klagen, und es hat mein Leben unglaublich bereichert.

Da ich zu Hause war, kochte ich täglich für die Familie. Niemand ist daran gestorben.

Der Zweck meiner vierjährigen Auszeit bestand vor allem darin, dass Pamela, die Mutter, wieder Vollzeit arbeiten konnte. Sie übernahm meine Stelle in der Britischen Botschaft in Berlin als Botschaftsrätin (EU & Wirtschaft) (siehe vorangegangen Blog dieser Serie). Sie hatte mehrere Jahre in Teilzeit gearbeitet, fühlte sich aber nicht wohl bei dem Gedanken, dass wir beide Vollzeitstellen haben würden, mit vielen Verpflichtungen am Abend und Problemen beim Jonglieren der Kinderbetreuung.

Dieser Rollentausch weckte vor 19 Jahren einiges Interesse: jemand meinte, das sei wie Reality-TV, nur echt und nicht im Fernsehen. Eine Redakteurin der Financial Times fand, dass ein Hausmann immer einen Artikel wert sei, und fragte mich, ob ich darüber schreiben wolle, wie sich das anfühlt. Das Ergebnis wurde in der FT vom 9. Mai 2003 veröffentlicht.

Die FT schickte einen Fotografen, um den Artikel zu illustrieren. Ergebnis: schöne Fotos

Die wichtigste lebensverändernde Folge meiner vierjährigen Auszeit war, dass ich eine stärkere dauerhafte Bindung zu meinen Kindern entwickelte, als es mir sonst möglich gewesen wäre. Ich behaupte nicht, dass ich das Rätsel zwischenmenschlicher Beziehungen gelöst hätte, aber die vielen Stunden, die wir miteinander verbrachten und in denen ich die Verantwortung für sie hatte, brachten uns einander sehr nahe. Allein deswegen bin ich unendlich dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, dem Büroalltag eine Zeitlang zu entkommen.

Zu Hause konnte ich die künstlerische Entwicklung meiner talentierten Tochter mitverfolgen, hier: “Schlangenmädchen”

Nicht ins Büro zu müssen, bedeutete auch mehr Zeit für andere Dinge. Nochmals: ich behaupte nicht, besondere Einsichten gewonnen oder Leistungen erbracht zu haben. Aber ich habe einen kompletten Roman geschrieben, meinen Berlin-Thriller Blood Summit, sowie mehrere Dutzend Artikel für die FT, den Boston Globe und andere Zeitungen. Und ich habe neue Freunde gewonnen, darunter Mitglieder einer der weltweit besten Wandergruppen. Auch das hat mein Leben verändert.

Viele prophezeiten mir, der Wiedereinstieg in den Beruf nach dem unbezahlten Sonderurlaub würde schwierig sein. „Sie sollten sich weiter qualifizieren”, riet mir ein wohlmeinender hochrangiger Kollege. „Erwerben Sie Fähigkeiten, tun Sie etwas, mit dem das Foreign Office etwas anfangen kann oder das es für wichtig hält. Sonst ist Ihre Auszeit bloß ein schwarzes Loch.”  Andere rieten mir, die Zeit zu genießen, solange ich sie hätte. Letzteres entsprach eher meinen Vorstellungen, obwohl ich viel über Schriftstellerei und Journalismus gelernt habe.

Trotz der Warnungen war ich dennoch überrascht festzustellen, dass ich, als ich anfing mich auf Beförderungsstellen in London zu bewerben, für die ich mich vier Jahre zuvor am Ende meiner Dienstzeit als Botschaftsrat für EU & Wirtschaft zu 100% qualifiziert gefühlt hatte, nicht einmal in die engere Wahl kam. Ich versuchte es mit Stellen meines Dienstgrads, aber keine Chance. Schließlich bekam ich einen Anruf von einer klugen Kollegin, die mich ein wenig kannte. „Vielleicht könntest du dich für einen der ungewöhnlichsten Jobs im Foreign Office bewerben“, sagte sie. „Es ist die Stelle des Leiters der Abteilung für Überseegebiete.“ Hierzu mehr in meinem nächsten Blog.

Wie hat es sich nun auf meine Karriere ausgewirkt, vier Jahre lang nicht zu arbeiten? Wie Millionen von Frauen mit einschlägigen Erfahrungen Ihnen bestätigen können, spricht nicht viel dafür, dass eine berufliche Auszeit zur Kinderbetreuung der Karriere förderlich ist. Aber meine eigene Karriere war respektabel und befriedigend; und persönlich habe ich unermesslich davon profitiert.

Welche Lehre kann man daraus ziehen? Ein Referent bei einem Kurs der London Business School, den ich kurz vor dieser Zeit besuchte, hat es auf den Punkt gebracht. Statistisch gesehen, sagte er, würden nur zwei der zwanzig Leute im Raum die Spitze der Organisation erreichen. „Der Rest von Ihnen, ja Sie alle“, fuhr er fort, „sollten neben Ihrer Karriere etwas anderes in Ihrem Leben haben, das Sie erfüllt.“

Ein ausgezeichneter Rat.

*

Die früheren Blogs in dieser Reihe:

Diplomatische Lehren 1, 1979-83: Ziehe keine voreiligen Schlüsse 

Diplomatische Lehren 2, 1983-87: Fremdsprachen verändern alles 

Diplomatische Lehren 3, 1987-91: Bewirb dich um den schwierigsten Job   

Diplomatische Lehren 4, Russland 1991-95: Mach dir einen Plan und halt dich nicht daran 

Diplomatische Lehren 5, 1995-98: Bewirke etwas! 

Diplomatische Lehren 6, Berlin 1998-2002: Pendel

About Leigh Turner

I hope you find this blog interesting and, where appropriate, entertaining. My role in Vienna covers the relationship between Austria and the UK as well as the diverse work of…

I hope you find this blog interesting and, where appropriate, entertaining. My role in Vienna covers the relationship between Austria and the UK as well as the diverse work of the UN and other organisations; stories here will reflect that.

About me: I arrived in Vienna in August 2016 for my second posting in this wonderful city, having first served here in the mid-1980s. My previous job was as HM Consul-General and Director-General for Trade and Investment for Turkey, Central Asia and South Caucasus based in Istanbul.

Further back: I grew up in Nigeria, Exeter, Lesotho, Swaziland and Manchester before attending Cambridge University 1976-79. I worked in several government departments before joining the Foreign Office in 1983.

Keen to go to Africa and South America, I’ve had postings in Vienna (twice), Moscow, Bonn, Berlin, Kyiv and Istanbul, plus jobs in London ranging from the EU Budget to the British Overseas Territories.

2002-6 I was lucky enough to spend four years in Berlin running the house, looking after the children (born 1992 and 1994) and doing some writing and journalism.

To return to Vienna as ambassador is a privilege and a pleasure. I hope this blog reflects that.