25th November 2020 Vienna, Austria
Diplomatische Lehren 2, 1983-87: Fremdsprachen verändern alles
Ich war gerade dabei, einen Bericht über die Verwendung von Statistiken in den Personalabteilungen des FCO[1] zu verfassen, als meine Abteilungsleiterin Judith Macgregor[2] den Kopf zur Tür reinsteckte und mir zuwinkte.
Ein Kollege names John Everard[3] war von seinem Posten als Zweiter Sekretär für Politik und Pressereferent bei der Britischen Botschaft in Wien zurückgetreten, sagte sie. Sie bräuchten schnell jemanden mit Deutschkenntnisssen. War ich interessiert?
Einer meiner Gründe, dem Foreign Office beizutreten, war die Vorstellung, mit einem Jeep – wie in der damaligen kitschigen Zigarettenwerbung – durch wildes Terrain irgendwo in Südamerika oder Afrika zu fahren. An Wien dachte ich eher weniger. Ich fragte meine Freunde. “It means nothing to me” [4] , meinte der eine. Eine andere, Louise Kroll, sagte “Wien? Du wärst verrückt, das nicht zu machen”.
1983 war ich vom britischen Finanzministerium HM Treasury ins Foreign Office gewechselt. In meiner ersten Stelle war ich Sachbearbeiter für El Salvador und Nicaragua. Meine Arbeit bestand hauptsächlich darin, die Briefe von Abgeordneten zu beantworten, die sich über die Unterstützung der britischen Regierung für die US-Politik in diesen Ländern beschwerten. Unsere Informationen über die Region erhielten wir aus Briefen, die per diplomatischem Kurierdienst befördert wurden.
Meine Abteilung war auch für Kuba zuständig. Die Zeitung Granma (ein irreführender Name für das Organ des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas) hatte einen seltsamen Geruch und eine vorhersehbare redaktionelle Ausrichtung. Als ich 2015 eine Urlaubsreise nach Kuba unternahm, schien sich das Land erstaunlich wenig verändert zu haben gegenüber der Berichterstattung von Granma im Jahr 1983.
Anfang 1984 erhielt ich aufgrund meiner Erfahrung im Finanzministerium – die ein gewisses Maß an Rechenkenntnissen voraussetzt – den Auftrag zu untersuchen, wie man Computer in der Personalarbeit effektiver einsetzen kann. Dieses Problem beschäftigt die Welt bis heute.
Außerdem sollte ich der Frage nachgehen, warum viele Frauen, die 1983 zum FCO gekommen waren, es innerhalb von zwölf Monaten wieder verlassen hatten. Unter den 21 Neuzugängen hatten sich elf Frauen befunden; also befragte ich die acht oder neun, die bereits aus dem FCO ausgeschieden waren. Als häufigsten Grund gaben sie an, ihre männlichen Partner hätten sie nicht auf einen Auslandsposten begleiten wollen – auch das ist heute noch ein Problem.
Der Umzug nach Wien im Jahr 1984 war für mich eine große Sache. Um eine Vorstellung von der Entfernung zu London zu gewinnen, unternahm ich die Reise mit dem Zug (wie auch 2016). Ich erinnere mich, wie ich auf der nächtlichen Fahrt durch das Rheintal die angestrahlten Burgen bewunderte.
Obwohl ich bereits Deutsch sprach, organisierte das FCO für mich ein einmonatiges “immersion training”, einen Sprachaufenthalt bei der wunderbaren Familie Klaus in München – dies ist eine gute Möglichkeit, die mündlichen Sprachkenntnisse zu verbessern, und ich habe auch bei anderen Fremdsprachen davon profitiert.
Meine drei Jahre in Wien waren geprägt von politischen Turbulenzen: dem österreichischen Weinskandal, der Wahl von Bundespräsident Waldheim, dem Phänomen des Grünen-Politikers Kaspanaze Simma, dem ich 1984 bei einer Demonstration gegen das Donaukraftwerk in der Hainburger Au begegnete, und die Übernahme der Freiheitlichen Partei durch den jungen rechten Politiker Jörg Haider, den ich 1986 in Innsbruck kennenlernte. Ich half bei der Organisation eines Besuchs des Prinzen und der Prinzessin von Wales, der zusammen mit einem Festival britischer Kultur “Britain in Vienna” (siehe Foto) stattfand. Mehr über diese Jahre finden Sie in meinem Blog Wie sich Österreich verändert hat, und wie nicht.
Wenn ich in diesen vier Jahren eines gelernt habe, dann, dass Kenntnisse in der Landessprache alles ändern. Ich bin nicht gut in Grammatik – 1983 habe ich beim Spracheignungstest des FCO schlecht abgeschnitten. Aber ich kann mir Sprachen schnell aneignen, und im Laufe der Jahre habe ich ganz passabel Französisch, Deutsch, Russisch, Ukrainisch, Türkisch und Spanisch gesprochen, wenn auch nicht zur gleichen Zeit. Das hat mir bei der Bewerbung um mehrere Stellen geholfen. Ich habe mich sogar an österreichischen Dialekten versucht!
- Wie erwähnt, wurde ich 1984 kurzfristig nach Wien geschickt;
- 2008 kam ich als Botschafter nach Kiew, weil sie schnell jemanden brauchten, der Russisch (oder Ukrainisch) sprach;
- Deutsch hat mir auch geholfen, meine jetzige Stelle in Wien zu bekommen.
Vor allem aber verändert die Kenntnis der Sprache unser Verständnis für ein Land. Mich mit Präsident Juschtschenko auf Ukrainisch oder Ministerpräsident Asarow auf Russisch unterhalten zu können, war hilfreich. Aber wirklich wichtig war es, dass ich mit meinen Sicherheitsleuten in Istanbul oder mit Mitreisenden in einem Bus in Anatolien Türkisch sprechen, mit örtlichen Politikern und Journalisten in Nowosibirsk oder Wladiwostok auf Russisch kommunizieren oder in Berlin oder Wien an Fernseh-Talkshows teilnehmen oder Reden auf Deutsch halten konnte. Der Austausch in anderen Sprachen als Englisch gehört zu den Erfahrungen, die mich in den letzten 40 Jahren am tiefsten beeindruckt haben.
Nicht immer ist auf das System Verlass. Ein Treppenwitz unter Diplomaten lautet, dass man, wenn man nach Brasilien geschickt werden will, als Erstes Russisch lernen sollte.
Bei mir hat das übrigens nicht funktioniert.
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Die vorangegangene Folge dieser Reihe: Diplomatische Lehren 1: 1979-83: Ziehe keine voreiligen Schlüsse.
Demnächst: London 1987-92: Bewirb dich um den schwierigsten Job
[1] Jetzt FCDO. Wenn jemand diesen Bericht noch hat, melden Sie sich bitte.
[2] [3] Ich werde keine Kurzbiographien zu allen Personen beifügen, die ich erwähnt habe, aber sowohl Judith als auch John haben später eine beachtliche diplomatische Karriere gemacht.
[4] Eine Anspielung auf eine Textzeile aus dem Song “Vienna” von Ultravox aus dem Jahr 1980