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Leigh Turner

Ambassador to Austria and UK Permanent Representative to the United Nations and other International Organisations in Vienna

15th December 2020 Vienna, Austria

Diplomatische Lehren 3, London 1987-91: Bewirb dich um den schwierigsten Job

Der 2. November 1987, an dem ich meine Stelle als Referent für Haushalt und Finanzen in der Abteilung Europäische Gemeinschaft (Inneres) (ECD(I)) des Außenministeriums antrat, war ein langer Tag.

Abends saß ich mit meinem Kollegen Ralph Publicover[1], dem Referenten für die Gemeinsame Agrarpolitik (einschließlich Stabilisatoren und Währungsausgleich[2]), in unserem gemeinsamen Büro, Raum E121[3] des FCO, zusammen und sah den Mond aufgehen. Mein Vorgänger, Mark Lyall-Grant, war Persönlicher Referent von Europa-Staatsministerin Lynda Chalker geworden. Der Abteilungsleiter von ECD(I), Stephen Wall, hatte mich für den Posten ausgewählt,“einen der wichtigsten in diesem Herbst“, wie er meinte.

Um 19.00 Uhr öffnete sich die Tür und Lynda Chalker selbst trat ein. „Sie müssen Leigh Turner sein”, sagte sie und dann fügte sie hinzu, ich könne Mark in den bevorstehenden schwierigen Wochen und Monaten jederzeit um Rat und Hilfe bitten.

„Da siehst du,“ meinte Ralph, nachdem sie gegangen war, „worauf du dich eingelassen hast.“

Geahnt hatte ich das schon. In einem Brief, den ich am Wochenende meinen Eltern schrieb, erzählte ich, ich hätte bei meiner Ankunft in der Abteilung ECD(I) an diesem Morgen viele Beileidsbekundungen bekommen, weil ich ein so beängstigendes Aufgabenspektrum übernehmen musste.

Ein von Männern dominiertes Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs und Außenminister in Brüssel, 1987 (Bundesarkiv)

Zu meinen Aufgaben gehörte die Vorbereitung einer Tagung des Europäischen Rats im Dezember 1987 über die künftige Finanzierung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Ihr Ausgang würde entscheiden, wie viele Milliarden Großbritannien künftig in den Haushalt der EWG einzahlen müsste. Premierministerin Margaret Thatcher, die drei Jahre zuvor in Fontainebleau den Briten-Rabatt ausgehandelt hatte, maß dieser Frage eine gewisse Bedeutung bei. In meine Zuständigkeit fiel auch die britische Politik zum Europäischen Währungssystem (dem Vorläufer des Euro), ebenfalls ein viel diskutiertes Thema in Großbritannien.

Aufruf zur Einreichung von Schriftsätzen für den Europäischen Rat im Dezember 1987 in Kopenhagen

Wegen dieses Jobs verpasste ich sogar meine 30. Geburtstagsparty, da die Staats- und Regierungschefs sich im Dezember 1987 nicht einigen konnten und einen zusätzlichen Europäischen Rat am Tag meiner Feier im Februar 1988 anberaumten.

Warum habe ich mich also für die Stelle beworben?

Kurz gesagt, ich dachte, sich mit der EWG[4] zu befassen wäre zentral für die britischen Interessen, könnte Spaß machen und meiner beruflichen Laufbahn förderlich sein. Alles traf zu.

Es erwies sich als einer der härtesten Jobs, den ich je gemacht habe (wenn auch nicht unbedingt der interessanteste).  Nicht selten kam ich erst im Morgengrauen nach Hause. Ich lernte, wie man in kürzester Zeit zu den komplexesten Themen Qualität liefert. Ich lernte auch, wie man verhandelt – vor allem beim Verfassen und Koordinieren von Briefingmaterial mit dem britischen Finanzministerium, meinem alten Arbeitgeber. Dieses hatte die Federführung für die Politik in meinem Bereich, aber Außenminister Geoffrey Howe und Premierministerin Margaret Thatcher leiteten die Verhandlungen. Ohne mir etwas darauf einbilden zu wollen, wurde mir bewusst, was ich leisten konnte.

Weil es um wichtige Dinge ging, arbeitete ich mit hervorragenden Kollegen zusammen. Die Kette meiner Vorgesetzten – Nigel Sheinwald, Stephen Wall und John Kerr (siehe Fußnoten) – vermittelte mir einen Crashkurs in harter Arbeit und Exzellenz. Mit mehreren meiner talentierten Kollegen von damals bin ich noch heute befreundet.

Nach zwei Jahren im ECD(I) wechselte ich in die „Abteilung für Sicherheitskoordination” (SCD), wo ich mit diversen vertraulichen Aufgaben zur Bekämpfung des Terrorismus betraut war. Als „Head of Ops“ – Einsatzleiter – war ich zuständig für die Reaktion der britischen Regierung bei einem terroristischen Vorfall im Ausland oder auch dem FCO-Anteil eines Vorfalls im Inland. Damit verbunden waren auch regelmäßige Planübungen mit den britischen Polizeikräften sowie einige unvergessliche Reisen in ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten, bei denen wir die Zusammenarbeit mit ihren Sicherheitsdiensten bei der Terrorismusbekämpfung nach dem Fall der Berliner Mauer besprachen.

Budapest, 1989 – dieser Ausblick hat sich nicht viel geändert

Meine Arbeit in der SCD verschaffte mir Einblicke und noch mehr Respekt für britische Behörden wie den Security Service, den Secret Intelligence Service, die Metropolitan Police, das Innenministerium und die Streitkräfte.  Ich erinnere mich, wie mein damaliger Chef Hilary Synott, ein ehemaliger Marineoffizier, mir eines Nachts während eines Zwischenfalls in einer unserer Vertretungen in Südamerika die Verantwortung übertrug und sich dann wieder schlafen legte. Eine bessere Studie über das Motto „Tu’s nicht, delegiere“ kann man sich kaum vorstellen.

Was ich in diesen vier Jahren in London vor allem gelernt habe, ist, dass man in den schwierigsten Jobs in Zusammenarbeit mit den fähigsten Köpfen am meisten lernt.  Weniges bleibt einem besser in Erinnerung und – vor allem in der Rückschau – in angenehmer.

Wusste ich, worauf ich mich einließ, als ich zur ECD(I) kam? Nicht wirklich. Bereue ich es? Keinen Augenblick.

*

Die vorangegangenen Blogs dieser Serie:

Diplomatische Lehren 1, 1979-83: Ziehe keine voreiligen Schlüsse!

Diplomatische Lehren 2, 1983-87: Fremdsprachen verändern alles

 Demnächst: Diplomatische Lehren 4, Moskau 1991-95: Mach dir einen Plan – und halte dich nicht daran!

[1] Später Botschafter in Angola.  Von den anderen hier namentlich erwähnten Personen, wurden Mark Lyall Grant später Nationaler Sicherheitsberater, Stephen Wall Ständiger Vertreter des Vereinigten Königreichs bei der EU, Nigel Sheinwald und John Kerr britische Botschafter in den USA, Letzterer, heute Baron Kerr of Kinlochard, auch Staatssekretär im FCO. Hilary Synott wurde später Hochkommissar in Pakistan.

[2] Fragen Sie mich nicht, was das ist.

[3] Wurde später zu einer Herrentoilette umgebaut.

[4] Ab 1993 die Europäische Union

About Leigh Turner

I hope you find this blog interesting and, where appropriate, entertaining. My role in Vienna covers the relationship between Austria and the UK as well as the diverse work of…

I hope you find this blog interesting and, where appropriate, entertaining. My role in Vienna covers the relationship between Austria and the UK as well as the diverse work of the UN and other organisations; stories here will reflect that.

About me: I arrived in Vienna in August 2016 for my second posting in this wonderful city, having first served here in the mid-1980s. My previous job was as HM Consul-General and Director-General for Trade and Investment for Turkey, Central Asia and South Caucasus based in Istanbul.

Further back: I grew up in Nigeria, Exeter, Lesotho, Swaziland and Manchester before attending Cambridge University 1976-79. I worked in several government departments before joining the Foreign Office in 1983.

Keen to go to Africa and South America, I’ve had postings in Vienna (twice), Moscow, Bonn, Berlin, Kyiv and Istanbul, plus jobs in London ranging from the EU Budget to the British Overseas Territories.

2002-6 I was lucky enough to spend four years in Berlin running the house, looking after the children (born 1992 and 1994) and doing some writing and journalism.

To return to Vienna as ambassador is a privilege and a pleasure. I hope this blog reflects that.