“September 1996, Beijing: die zweite von drei formellen Sitzungen der Joint Liaison Group. 15 Personen auf jeder Seite der langen Tische, an weiteren Tischen hinter uns Konsekutivdolmetscher und zahlreiche Protokollschreiber. Wir arbeiten uns mühsam durch die Tagesordnung, wiederholen altbekannte, wohlverstandene Positionen, erringen ab und zu einen kleinen Sieg, der später der einzige Hinweis darauf sein wird, dass wir Fortschritte gemacht haben.”
1995, nach drei Jahren in Moskau, kehrte ich nach London zurück. Ich bekam eine Stelle in der Hongkong-Abteilung angeboten, die sich mit der Rückgabe von Hongkong an China 1997 befasste. „Das ist wirklich wichtig“, sagte mir jemand. “Sie können etwas bewirken.”
Ich nahm die Stelle an.
Die Gespräche zwischen Großbritannien und China über die Zukunft Hongkongs liefen bereits seit 1979. Nach einem Treffen zwischen Margaret Thatcher und Deng Xiaoping im September 1982 in Beijing und zwei Jahren intensiver Verhandlungen war im Dezember 1984 die „Joint Declaration“, die Gemeinsame Erklärung, unterzeichnet worden. Sie legte die Grundprinzipien für die Zukunft Hongkongs nach der Übergabe an China am 30. Juni 1997 fest.
Joint Liaison Group XL, Mai 1997
Mit der Gemeinsamen Erklärung wurde eine “Sino-British Joint Liaison Group” (JLG) ins Leben gerufen, die eine reibungslose Übergabe der Regierung 1997 gewährleisten sollte. Unsere Abteilung hatte die Federführung für die Londoner Seite der Sitzungen und befasste sich mit diversen praktischen Fragen im Vorfeld der Übergabe. Als ich im November 1995 in die Abteilung kam, stürzte ich mich in die Arbeit zu Themen wie wie die Ausstellung neuer Pässe mit dem Status „British National (Overseas)“ an 3,5 Millionen berechtigte Einwohner Hongkongs und den Bau des neuen Generalkonsulats im Bezirk Admiralty.
Die Hongkong-Abteilung hatte in der Zeit bis zur Übergabe alle Hände voll zu tun. Wegen der achtstündigen Zeitverschiebung fiel das Ende des Tages in Hongkong mit dem Beginn des Tages in London zusammen, so dass wir an beiden Enden alles daran setzten, Aufgaben bis Dienstschluss zu erledigen.
Der Job war mit regelmäßigen Dienstreisen nach Hongkong und Beijing verbunden. Es war ein Privileg, an Sitzungen der JLG teilzunehmen und mit den überaus engagierten Delegationen der Hongkonger Regierung (unter der Leitung von Chief Secretary Anson Chan) und des Gouverneuramts (unter der Leitung von Chris Patten) zusammenzuarbeiten. Auf britischer Seite wurde über viele Fragen diskutiert.
Beratung durch die Hongkonger Regierung über einen passenden chinesischen Namen für mich
Als Stellvertretender Leiter der Hongkong-Abteilung nahm ich zwar nicht an der Übergabe selbst teil, aber an einer Veranstaltung im Banqueting House in London auf Einladung des Stellvertretenden Premierministers, John Prescott. Die Ereignisse in Hongkong konnte man auf einer großen Leinwand mitverfolgen. Kurz bevor es in Hongkong Mitternacht wurde, trat Stille ein, und viele hielten den Atem an, als die ersten Soldaten der Volksbefreiungsarmee mit der chinesischen Flagge, die sie gleich hissen würden, in das Versammlungszentrum in Hongkong einmarschierten. Als der Union Jack eingeholt wurde, ließ eine Kellnerin in London ihr Tablett mit Getränken zu Boden fallen.
Jänner 1996: Countdown-Uhr auf dem Tienanmen-Platz zeigt Tage und Sekunden bis zur Übergabe am 30. Juni 1997
Am 3. Juli 1997 übernahm ich die Leitung der Hongkong-Abteilung. In einer Notiz von Mitte September habe ich vermerkt, dass mir mein Dienstcomputer beim Einschalten „Noch minus 73 Tage bis zur Übergabe“ meldete! Wir befassten uns weiterhin mit der Regelung der Beziehungen zwischen Großbritannien und Hongkong, zum Beispiel mit der Einführung halbjährlicher Berichte an das Parlament über die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung. Die JLG tagte weiterhin: Ich erinnere mich an einen Flug von Hongkong nach Beijing im November 1997 in einer Maschine der Air China, die sich in ihrem Bordvideo damit rühmte, dass „seit 1955 keine Unfälle“ stattgefunden hätten.
Im Mausoleum von Mao Zedong in Peking, Jänner 1996
Da ich nun ein höheres Amt bekleidete, kam ich auch mit hochrangigeren Leuten in Kontakt, in Hongkong wie auch in London. Im November 1997 lud mich der ehemalige Premierminister Sir Edward Heath zu einem Mittagessen und Diskussion in sein Haus in Salisbury ein. Ungefähr in dieser Zeit sagte mir ein hoher (britischer) Diplomat: „Wissen Sie, ich bin jetzt so hochrangig wie ein Diplomat nur sein kann.“ Ein ausgezeichnetes Training in Sachen Bescheidenheit.
Meine wichtigste Lehre aus meinen drei Jahren Beschäftigung mit Hongkong ist, dass ein Job, der mit dem Leben der Menschen direkt zu tun hat, anspruchsvoll, aber erfüllend ist. Die Arbeit für die heutigen Überseegebiete war ebenso wie meine Zeit in verschiedenen Behörden des britischen Staatsdiensts von 1979 bis 1983 „politischer“ als vieles, womit ich mich im Außenministerium befasste, und hatte auch mehr unmittelbare Auswirkungen auf die reale Welt. Man hatte wirklich das Gefühl, Verantwortung zu tragen. Von 2006-8 sollte ich noch einmal mit den (noch verbleibenden) Überseegebieten zu tun haben.
Die letzte Sitzung der Joint Liaison Group fand 1999 statt. Halbjährliche Berichte über Hongkong werden weiterhin veröffentlicht – der jüngste erschien im November 2020.
Am 1. Juli 2020 kündigte die britische Regierung als Reaktion auf die Entwicklungen in Hongkong eine neue Einwanderungsmöglichkeit für British Nationals (Overseas) und deren unmittelbare Familienangehörige in das Vereinigte Königreich an.
Habe ich etwas bewirkt? Ich weiß es nicht. Aber ich habe drei intensive und spannende Jahre mein Bestes gegeben.
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Die früheren Blogs in dieser Reihe:
Diplomatische Lehren 1, 1979-83: Ziehe keine voreiligen Schlüsse
Diplomatische Lehren 2, 1983-87: Fremdsprachen verändern alles
Diplomatische Lehren 3, 1987-91: Bewirb dich um den schwierigsten Job
Diplomatische Lehren 4, Russland 1991-95: Mach dir einen Plan und halt dich nicht daran
Demnächst: Diplomatische Lehren 6, Deutschland 1998-2020: Fachkompetenz ist gefragt