Gast-Blog von Amit Thapar, Senior Policy Advisor im Ministerium für den Austritt aus der Europäischen Union (DExEU)
Im Herbst letzten Jahres bewarb ich mich für ein interministerielles Hospitationsprogramm für höhere Staatsbedienstete (Gehaltsstufen 6/7) mit Migrationshintergrund, bei dem diese einen hochrangigen Kollegen im Berufsalltag für eine bestimmte Zeit begleiten dürfen, um einen Einblick in die Arbeit an der Spitze des Staatsdienst zu bekommen. Zu meiner Begeisterung wurde ich für ein Job Shadowing bei Leigh Turner ausgewählt, dem britischen Botschafter und Ständigen Vertreter bei internationalen Organisationen in Wien.
Meine jetzige Stelle im Ministerium für den Austritt aus der Europäischen Union (DExEU), in der ich die Arbeit der Regierung bei der Überführung bestehender Vereinbarungen u.a. in den Bereichen Atomkraft, Handel und Luftfahrt in neue Vereinbarungen koordiniere, ist zwar international ausgerichtet, aber im Ausland habe ich bisher noch nie gearbeitet. Deshalb habe ich mich sehr über die Gelegenheit gefreut, eine Botschaft in Aktion zu erleben, und mir für die Woche drei Ziele vorgenommen:
- Verstehen, welche Aufgaben die verschiedenen Mitarbeiter, insbesondere in der Botschaft, routinemäßig wahrnehmen,
- Lernen, wie verschiedene hochrangige Kollegen versuchen, ihre Arbeit möglichst effektiv zu erledigen und
- Mein persönliches Interesse an einer Laufbahn im diplomatischen Dienst weiterverfolgen.
Im Rest dieses Blogs geht es überwiegend um das erste Ziel, wobei Österreich sich als besonders interessant erwies, denn Großbritannien hat dort nicht nur einen Botschafter, sondern gleich drei: die Botschafter Leigh Turner und Dave Hall und Botschafterin Sian MacLeod. Deshalb konnte ich das gesamte Spektrum von Aktivitäten bilateraler und multilateraler Vertretungen bzw. Delegationen erleben. Während der fünf Tage, an denen ich überwiegend Leigh Turner begleitete, war ich bei mehreren Besprechungen über strategische Fragen dabei, traf mit Abgeordneten des österreichischen Nationalrats, einem bedeutenden Medien-Influencer und dem japanischen Botschafter zusammen und nahm an einem Mittagessen mit interessierten Parteien zum Thema UN-Reform teil.
Mir wurde deutlich, wie wichtig es ist, die richtige Balance zu finden zwischen Außer-Haus-Terminen, der Pflege enger Kontakte zu den Ministerien in London und der Führung und Präsenz, die man in einer Botschaft zeigen muss – so auch in Krisen, die echt sein können oder simuliert werden. So war die Krisenübung am fünften Tag definitiv eine neue Erfahrung für mich, und ich war froh, dass in dieser Woche nicht wirklich ein Lawinenunglück passierte, von dem britische Minister betroffen waren. Da die Hospitation auf eine ganze Woche angelegt war, konnte ich nicht nur Leigh und seine Kollegen und Kolleginnen beobachten, sondern hatte auch Zeit, meine Beobachtungen mit ihnen zu teilen und zu erfahren, wie jeder Termin und jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin der Vertretung zu den allgemeineren Zielen der Botschaft beitrugen.
Da ich über keinerlei Erfahrungen im diplomatischen Dienst verfügte, verschaffte mir diese Zeit viele neue Einblicke: von den Formalitäten der Arbeit in multilateralen Foren bis hin zum Interesse an externen Veranstaltungen und zur „Kunstgalerie-Diplomatie“. Mein Unwissen über die Kunstwelt hat mich zugegebenermaßen etwas verunsichert, aber ich habe begriffen, welche kulturellen, Networking- und Soft-Power-Möglichkeiten eine Galerieeröffnung bietet und vor allem auch, wie wichtig es ist, einen Vorwand zu finden, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen!
Was die multilaterale Arbeit anbelangt, haben Dave und Sian es mir ermöglicht, bei Sitzungen der EU-Missionschefs der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des Ständigen Rats der OSZE und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) dabei zu sein. Die Sitzung der EU-Missionschefs versetzte mich ein wenig ins Staunen, da ich definitiv nicht erwartet hatte mitzuerleben, wie 28 Botschafter versuchten, nachverfolgbare Änderungen in einen über einen Projektor gezeigten Word 2010-Text einzufügen. Auch die IAEA- und UN-Sitzungen waren bei all den hochtrabenden Erklärungen und Lobreden sehr interessant zu beobachten.
Meine Hospitation bei Leigh in Wien war eine wichtige Erfahrung, mit interessanten Begegnungen, Erlebnissen und Gelegenheiten zu beobachten und darüber zu diskutieren, wie Diplomatie im 21. Jahrhundert funktioniert. Bei meiner Abreise war ich zuversichtlich, die Rolle der britischen Regierung im Ausland besser zu verstehen, entschlossen mir konkret Gedanken zu machen, wie sich meine Laufbahn mit einer Tätigkeit im diplomatischen Dienst verbinden lässt, und sicherer als je zuvor, dass ich selbst einmal im Ausland für die britische Regierung tätig sein will und das Potenzial dazu habe.