12th December 2018 Vienna, Austria
Ein bedeutender Henry Moore in Wien: Kuppeln, Hügel und fürsorgliche Eltern
Als ich in den 1980er Jahren in Wien lebte, ging ich jeden Tag zu Fuß über den Karlsplatz zur Arbeit, vorbei an der prächtigen, 1737 vollendeten Karlskirche. Ich bewunderte den schönen elliptischen Teich, über dem sich eine große Bronzeskulptur des britischen Bildhauers Henry Moore erhebt, „Hill Arches“, aufgestellt im Jahr 1978.
Hill Arches steht jetzt 40 Jahre an diesem Ort. Aus diesem Anlass haben wir Sebastiano Barassi, den Chef der Sammlungen und Ausstellungen der Henry Moore Foundation, eingeladen, über das Werk und seine Geschichte zu sprechen. Den Text seiner Rede, die er letzten Monat auf dem Karlsplatz gehalten hat, finden Sie unten.
Barassis Rede ist hoch interessant und es lohnt sich, sie in voller Länge zu lesen. Am spannendsten finde ich, dass Henry Moore unmittelbar Einfluss auf die Umgebung seines Werks nehmen konnte.
So zum Beispiel wählte er die Farbe der Fliesen im Teich, in dem die Skulptur steht, und die Höhe des Wasserspiegels (manchmal frage ich mich, ob sie noch stimmt); außerdem ließ er vor den modernen Gebäuden am Karlsplatz Bäume pflanzen, um die Beziehung der Skulptur zur der barocken Karlskirche herauszustellen.
Zudem platzierte Moore “Hill Arches” nicht in der Mitte des Teichs, damit die Kurven der Skulptur keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung zur Kuppel der berühmten Kirche bilden würden.
Die Skulptur spiegelt nicht nur die Umrisse der Karlskirche wider, sondern erinnert auch an die sanften Hügel von Moores Heimat Yorkshire, oder an Eltern, die ihre Arme schützend über ihr Kind legen.
Ich gehe immer noch häufig an der Karlskirche vorbei und werde Henry Moores schöne Skulptur jetzt mit anderen Augen betrachten. Lesen Sie Sebastiano Barassis Vortrag und erfreuen Sie sich, wann immer Sie auf dem Karlsplatz sind, an einem Meisterwerk der Kunst des 20. Jahrhunderts neben einem Meisterwerk der Architektur des 18. Jahrhunderts.
Übersetzung des Vortrags
Zum 40. Jahrestag der Skulptur “Hill Arches”: ein Vortrag von Sebastiano Barassi, Chef der Sammlungen und Ausstellungen der Henry Moore Foundation
Wien, 4. Oktober 2018
Henry Moore dürfte wohl vor allem für seine monumentalen Skulpturen bekannt sein, die seit Jahrzehnten an prominenten öffentlichen Plätzen auf der ganzen Welt zu sehen sind. Beispiele für seine Freiluft-Skulpturen finden sich heute in 38 Ländern und 270 Städten auf fünf Kontinenten. Mir fällt jedoch kein Ort ein, an dem die Beziehung, in der Moores Plastik zu ihrer architektonischen Umgebung steht, so überzeugend wäre wie hier. Nachdem ich im Lauf der Jahre bei vielen Ausstellungseröffnungen Reden gehalten habe, habe ich oft darüber nachgedacht, ob es Moore gefallen würde, seine Werke in einem bestimmten Kontext präsentiert zu sehen. In diesem Fall wissen wir aber genau, dass er den Ort nicht nur sehr gern mochte, sondern sogar mitgestaltet hat, und dass er ihn als perfekt für seine Arbeit betrachtete.
Dass Wien ein bedeutendes Werk von Moore bekommen sollte, wurde erstmals 1969 von dem Maler Georg Eisler vorgeschlagen, der damals auch Präsident der Wiener Secession war. Zuvor hatte Moore bereits zwei wichtige Einzelausstellungen in der Stadt gehabt, beide organisiert vom British Council: „Henry Moore: Zeichnungen, Kleinplastik, Graphik“ 1951 in der Albertina, und eine große Retrospektive in der Akademie der Bildenden Künste 1961.
Moore empfand eine große Zuneigung zu Wien, so dass ihm die Vorstellung, eines seiner Monumentalwerke dauerhaft in der Stadt zu präsentieren, wirklich zusagte. Auch die fürstliche Behandlung, die er bei jedem seiner Besuche in der Stadt erfuhr, dürfte zu seiner Liebe zur Stadt beigetragen haben. Wir wissen beispielsweise, dass er 1973 im Hotel Sacher logierte, Richard Strauss‘ Der Rosenkavalier in der Oper sah und zwei Tage großzügigst bewirtet wurde.
So überrascht es nicht, dass er bei diesem Besuch einem österreichischen Journalisten versicherte, er habe Wien immer mit Heiterkeit verbunden und hoffe, dass ein Teil dieses Glücksgefühls auf ihn überspringen würde, wenn er eines seiner Werke in der Stadt habe. Und Wien erwiderte diese Liebe durchaus. Künstler wie Fritz Wotruba und Alfred Hrdlicka sprachen in höchsten Tönen von ihm, und kurz nach seinem ersten Treffen mit Eisler wurde Moore zum Ehrenmitglied der Wiener Secession ernannt. Wenige Jahre später, 1975, wurde er auch Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Auszeichnungen zusammen mit dem Erfolg seiner früheren Ausstellungen eine wichtige Rolle für Moores Entscheidung gespielt haben, der Stadt eine Skulptur zu schenken. Sie war übrigens Moores zweites Geschenk an Wien – das erste war die Skulptur “Woman”, die er 1962 dem heutigen Mumok schenkte. Moores Spendierfreudigkeit und Wiens Zuneigung zu ihm feierte man 1998 mit einer großen Retrospektive von über 120 Werken, die anlässlich seines 100. Geburtstags im Palais Harrach organisiert wurde.
Obwohl Moore den Entschluss, der Stadt eine Skulptur zu schenken, recht schnell fasste, zogen sich die Gespräche über ein geeignetes Werk und seinen Standort über mehrere Jahre hin. Der wunderbare Ort vor der Karlskirche wurde erstmals 1971 vorgeschlagen. Moore war sofort damit einverstanden und hielt ihn für perfekt, allerdings plante man damals, den Platz durch den dänischen Architekten Sven-Ingvar Andersson komplett umgestalten zu lassen, was einige Jahre in Anspruch nahm.
Moore studierte die Pläne des Architekten, befasste sich eingehend mit den Relationen zwischen Kirche und Platz und entschied sich 1973 schließlich für ein neueres Werk, Hill Arches. Nachdem die Sanierung des Platzes abgeschlossen und einige Widerstände seitens der Öffentlichkeit überwunden waren (woran Moore sich bei der Aufstellung seiner Skulpturen in historischen Stadtzentren gewöhnt hatte), wurde Hill Arches dann im April 1978 unter Aufsicht des Künstlers installiert. In enger Zusammenarbeit mit dem Architekten und den Stadtplanern durfte Moore einige der Entscheidungen über die Umgebung beeinflussen.
So konnte er beispielsweise die Höhe des Wasserspiegels und die Farbe der Fliesen des Beckens bestimmen, und er ordnete auch an, vor den modernen Gebäuden um den Platz herum Bäume zu pflanzen, um die Beziehung der Skulptur zu den barocken Formen der Karlskirche hervorzuheben. Diese Liebe zum Detail war typisch für Moores Herangehensweise – er machte sich immer viele Gedanken darüber, in welcher Beziehung seine Werke zu den umgebenden architektonischen und urbanen Räumen stehen würden. Moore fand die Karlskirche jedes Mal schöner, wenn er sie sah, und so platzierte er die Skulptur nicht in der Mitte des neu angelegten Teichs, um eine Konkurrenz mit der Architektur zu vermeiden. Bezeichnenderweise nannte er Hill Arches später „eine barocke Skulptur für eine barocke Kirche“.
Hill Arches war ein relativ neues Werk, entstanden 1973. Es handelt sich um ein untypisch komplexes Gebilde aus vier Teilen, das drei steigbügelartige Formen mit einer großen Kugel verbindet. Die Linien der Skulptur sind sanft geschwungen und erinnern – entscheidend für die Wahl der Skulptur – an die Kuppel der Kirche. Die Gleichsetzung menschlicher Formen mit Landschaft, die in Moores Denken eine so wichtige Rolle spielt, ist hier nicht augenfällig.
Es gibt durchaus Parallelen zu seinen abstrakteren Skulpturen aus den 1930er Jahren, bei denen multiple Formen auf einem Sockel angeordnet waren. Auch war Moore in den späten 1960er Jahren zu einer abstrakten Sprache für seine monumentaleren Werke zurückgekehrt. Der landschaftliche Bezug des Titels ist jedoch offensichtlich, vielleicht eine Anspielung auf die sanften Hügel seiner Heimat Yorkshire, womit dieses Werk eine Sonderstellung in Moores Oeuvre einnimmt, gewissermaßen als eigenständige Landschaft.
Hill Arches scheint auch bei Kindern beliebt zu sein, vielleicht, weil Moore einmal gesagt hat, die Form erinnere an Eltern, die ihr Kind beschützen. Sie enthält Parallelen zu seinen Figuren in geschützten Räumen und den Mutter-und-Kind- und Familiengruppenthemen, die so zentral für sein Werk waren.
Die Themen Schutz und Geborgenheit spielten in Moores Denken und auch in seiner visuellen Sprache während seiner gesamten Karriere sicherlich eine wichtige Rolle. Geboren aus seinen Erfahrungen in der Kriegszeit, wurden sie zu Symbolen für seinen Humanismus und den Wunsch, die Freundschaft zwischen den Völkern zu fördern, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg.